Redaktion - Donnerstag, 26. Juni 2025, 9:00 Uhr.
Thomas Söding, der Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und Bochumer Neutestamentler, hat mit Blick auf die kirchliche Lehre zu Homosexualität und Gender-Ideologie von einer gezielten Verdrehung biblischer Aussagen gesprochen.
„Diejenige Homosexualität, die in der Bibel als Gräuel gilt, weil sie gewaltsame Unterwerfung praktiziert, wird mit jener identifiziert, die heute in Freiheit, Liebe und Verantwortung gelebt wird“, schrieb Söding in einem Beitrag für feinschwarz.net. „Mit Gen 1,26-27, Mk 10,6-8 und Gal 3,28 wird behauptet, es könne und dürfe nur zwei Geschlechter geben, obgleich erst das 19. Jahrhundert rigoros wird, chirurgisch und dogmatisch.“
Die katholische Kirche lehnt die Gender-Ideologie ab, weil diese das biologische Geschlecht (sex) von einer sozialen Geschlechtsidentität (gender) trennt und behauptet, letztere sei rein kulturell und subjektiv. Auch bezüglich der Homosexualität hat die Kirche unter Berufung nicht nur auf die Heilige Schrift, sondern auf das Naturrecht, eine ablehndene Haltung. Sexualität soll laut kirchlicher Lehre offen für Fortpflanzung und Ausdruck der männlich-weiblichen Ergänzung sein. Homosexuelle Handlungen erfüllen das nicht und gelten daher als schwere Sünde, während homosexuelle Neigungen als solche nicht sündhaft sind.
Missbrauch der Bibel als Machtinstrument
Söding kritisierte zudem einen politischen Missbrauch der Heiligen Schrift durch fundamentalistische Bewegungen, die unter dem Vorwand der Bibeltreue eine autoritäre Weltanschauung durchsetzen wollten. Dabei gehe es, so Söding, um den Versuch, „Macht über Seelen, über Menschen, über Gesellschaften, über Staaten“ zu erlangen – gestützt auf die „Autorität der ‚Heiligen Schrift‘“.
Fundamentalismus beschränke sich laut Söding nicht auf religiöse Formen, doch der christliche Fundamentalismus ziehe besondere Aufmerksamkeit auf sich, „weil er lange Zeit politisch harmlos schien, während er jetzt gefährlich wird“. In den USA bekomme er politischen Auftrieb, in Ungarn komme es zu einem „Schulterschluss zwischen der Regierung Orbán und der katholischen Hierarchie“, während die russische Orthodoxie offen einen Krieg religiös legitimiere.
Trotz unterschiedlicher Ausprägungen sei das gemeinsame Kennzeichen ein „identitäres Denken, das religiös aufgeladen ist“ – erkennbar an der „Abschottung vor Kritik“, dem „Aufbau eigener Stärke durch die Ausgrenzung des Fremden, der Anrufung Gottes zur Verteidigung traditioneller Werte und zur Sicherung der Macht, die sie schütze“.
Söding sprach verschiedene politische Spielarten an: „Wo der christliche Fundamentalismus herrscht, werden – im Protestantismus wie im Katholizismus – auf der Rechten konservative bis reaktionäre Positionen vor allem in der Anthropologie und Individualethik vertreten, auf der Linken progressive bis utopische vor allem im Gesellschaftsbild und in der Sozialpolitik.“ Derzeit dominiere der rechte Populismus, früher habe der linke überwogen.
Zentral ist für Söding die Rolle der Bibel. Sie werde nicht nur als „zivilreligiöses Symbol bei einer Amtseinführung“, sondern als „Bollwerk“ gegen politische Gegner ins Feld geführt – etwa „gegen die liberale Demokratie, gegen Wokeness und ‚Gender-Wahn‘ oder gegen den ‚Kapitalismus‘“.
Der Auftrag der Exegese – also der wissenschaftlichen Auslegung der Bibel – bestehe darin, „den Zugriff zu analysieren, um ihn zu delegitimieren“. Sie müsse die Sprache der Bibel gegen ideologische Übergriffe schützen und zugleich zeigen, „wie Politik besser wird, wenn sie die Bibel im Blick hat“.
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Keine Normativität bloß durch Bibelzitat
Der Fundamentalismus begeht laut Söding einen „semantische[n] Kategorienfehler“: Er reklamiere „ein wörtliches Verständnis der Bibel“, gehe dabei aber „nicht in die Sprach- und Denkschule der Bibel“, sondern identifiziere „die eigene Sprache mit derjenigen der Bibel“. Diese Aneignung führe zu systematischen „Äquivokationen“, also Verzerrungen, etwa bei den Begriffen „Leib und Volk, Herrschaft und Dienst, Nächstenliebe und Gerechtigkeit“.
Die Exegese habe daher die Aufgabe, „die Aneignungen, die optischen Täuschungen und gezielten Verzeichnungen aufzudecken“. Außerdem müsse sie die biblische Ausdrucksweise unterrichten, mit Blick auf „geschichtliches Denken, genaue Lektüre, interkulturelle Kompetenz“. Denn: „Nichts ist schon deshalb normativ, weil es in der Bibel steht.“ Stattdessen gelte: „Die Bibel muss vielmehr in dem Geist gelesen werden, in dem sie geschrieben wurde.“
Aus konsequenter Auslegung könne so eine „Hierarchie der Wahrheiten“ entstehen – schriftgemäß, wenn sie „Kontexte und Gattungen berücksichtigen“, und glaubwürdig, wenn sie „in einem Feld von Bezeugungsinstanzen korreliert werden“, etwa Schrift, Tradition, Zeichen der Zeit, Glaubenssinn des Gottesvolkes, Lehramt, Theologie.
Jesus habe gezeigt, dass „kein König dieser Welt Gott ist“, sondern dass „jeder König dieser Welt vor Gott Rechenschaft ablegen muss“. Das bedeute nicht die Trennung von Religion und Politik im modernen Sinn, aber eine klare Differenzierung der Bereiche – gegen jeden totalitären Zugriff.
Die frühe Kirche sei, so Söding, eine „Gemeinschaft der von Gott Berufenen“, die zwar „nicht die politische Macht übernehmen, aber die Welt verändern“ wolle – durch ein Ethos, das auf Gerechtigkeit und Freiheit ziele.
Der bekannte Satz Jesu, „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“, müsse vom „Achtergewicht der zweiten Weisung“ her gelesen werden. Die Pointe sei nicht ein friedliches Nebeneinander von Religion und Staat, sondern die Erinnerung daran, auch der Kaiser müsse „Gott geben, was Gottes ist.“
Söding wandte sich ferner gegen innerkirchliche Bestrebungen nach politischer Dominanz: „Auch der Neo-Integralismus, der in katholikalen Gruppen befeuert wird, um einen politischen Primat der Kirche einzuklagen, scheitert an der jesuanischen Differenz.“
Die Kirchen müssten sich auf eine dreifache Aufgabe besinnen: „Erstens das Wächteramt für die jesuanische Unterscheidung übernehmen, zweitens jeden Kaiser dieser Welt entmythologisieren und drittens für eine gute Politik eintreten.“ Diese Politik dürfe nicht mit theologischer Begründung durchregieren, sondern müsse sich am Ethos des Politischen orientieren: „in der Förderung der Gerechtigkeit“.