15. Mai 2025
CNA Deutsch präsentiert die folgende Predigt zum bevorstehenden fünften Sonntag der Osterzeit.
Es mag seltsam klingen, dass uns das Evangelium (Joh 13,31–35) am kommenden Sonntag mitten in der Osterzeit an den Vorabend der Passion Jesu zurückführt. Tatsächlich ist es so, dass Ostern ein Geheimnis ist, das sich unseren Kategorien von „vorher“ und „nachher“ entzieht. Ostern ist ein Handeln Gottes, das in der Zeit geschieht, aber die Zeit übersteigt.
Das wird im gesamten Johannesevangelium und besonders in dem Abschnitt, den wir heute lesen, sehr stark betont: „Als Judas vom Mahl hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht.“
Die Verherrlichung beginnt mit dem Verrat. Das Kreuz Jesu ist Verherrlichung. Für die Christen gibt es keinen anderen Ruhm als das Kreuz des Herrn (vgl. Gal 6,14), denn durch sein Leiden und Kreuz erringt Jesus den Sieg über das Böse und verherrlicht vollkommen den Vater. Gott ist Liebe, und er wird durch die vollkommene Liebe Christi verherrlicht, der ganz das Leben hingibt und nichts für sich selbst zurückbehält.
Es ist kein Zufall, dass Jesus uns gerade in diesem Kontext sein neues Gebot übergibt, das zu Recht als ein „Destillat“ des gesamten Evangeliums angesehen wird: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“
Warum ist dieses Gebot neu? Schon das Alte Testament hatte geboten, Gott und den Nächsten zu lieben! Und durch natürliche Neigung werden wir alle dazu geführt, zu erkennen, dass wir Liebe geben und empfangen müssen, dass ein Leben ohne Liebe, eine Stadt ohne Liebe, eine Menschheit ohne Liebe unerträglich sind. Der Punkt ist, dass wir nicht genau wissen, welchen Inhalt wir dem Wort „Liebe“ geben sollen. Wie Benedikt XVI. bemerkte, „ist das Wort ‚Liebe‘ heute zu einem der meist gebrauchten und auch missbrauchten Wörter geworden“.
Es ist eines der meist gebrauchten Worte, weil es das Versprechen von Glück zu bringen scheint – ein Glück, das darauf hoffen lässt, dass all unsere Wünsche in Erfüllung gehen, und dabei Geist, Herz und Sinne, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einbezieht: es ist das Versprechen von Totalität und Ewigkeit. Gleichwohl ist es auch eines der meist missbrauchten Worte, weil dieses Versprechen vage und konfus bleibt, wenn wir dem Begriff „Liebe“ keine klare Bedeutung zu geben vermögen.
Die Neuheit des Gebotes Christi liegt darin, dass er selbst uns – gerade durch sein Kreuz – gezeigt hat, was es bedeutet, zu lieben: Es bedeutet, sein Leben für seine Freunde hinzugeben (Joh 15,13). Diese Liebe ist das genaue Gegenteil dessen, was viele in den sozialen Medien kursierende „Memes“ suggerieren: Kümmere dich nicht um die anderen, schau auf deine eigenen Interessen, du bist die einzige Person, um die du dich kümmern musst.
Die Liebe, die uns hingegen Christus durch sein Beispiel lehrt, besteht darin, sich selbst hinzugeben und die eigene Sache dem Vater anzuvertrauen (vgl. 1 Petr 2,23): „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“
Die Liebe in der Gemeinschaft macht sie als christlich erkennbar. Das sichtbare Merkmal der Kirche muss das einer Gemeinschaft sein, in der man einander liebt.
Die erste Lesung (Apg 14,21–27) zeigt uns ein erstes Sich-Strukturieren der Kirchen, die aus der Mission der Apostel hervorgehen und mit der Einsetzung der Presbyter (der „Ältesten“) Gestalt annehmen. Es ist eine Struktur, die aus der gegenseitigen Liebe entsteht. Paulus und Barnabas haben hinter sich eine Gemeinschaft, die sie der Gnade Gottes anvertraut haben. Sie beschränken sich nicht darauf, die Ältesten „einzusetzen“, sondern sie beten, fasten (das heißt, sie bringen ein persönliches Opfer für sie, das sie etwas kostet) und vertrauen sie dem Herrn an.
Diese Kirchen wird man an ihrer gegenseitigen Liebe erkennen. Und unsere? Die Antwort darauf steht nicht geschrieben, denn wir selbst müssen sie schreiben. Und der Weg ist nicht einfach: „Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen.“
Aber es gibt eine sichere Hoffnung. Die zweite Lesung (Offb 21,1–5) garantiert uns, dass das Ziel, auf das wir zusteuern, eine heilige Stadt ist, die vom Himmel, von Gott, herabkommt: die in der Liebe vollkommene Kirche. Die Vision des neuen Jerusalem ist die Manifestation dessen, was der Herr im Laufe der Geschichte mit uns tut. Sie wird das Zelt Gottes bei den Menschen sein. Wir gehen zu auf diese Wohnung des süßen Zusammenlebens, der Gemeinschaft mit Gott, in der es keine Tränen, keinen Tod, keine Trauer, keine Klage, keine Sorgen mehr gibt.
Und heute? Heute wohnt Gott unter den Menschen im eucharistischen Tabernakel, dort, wo zwei oder mehr in seinem Namen versammelt sind, dort, wo sein Wort gehört wird, dort, wo seine Sakramente gefeiert werden: Die Kirche ist die Wohnung Gottes unter den Menschen von heute. Unsere Aufgabe ist es, sie sichtbar zu machen, und dies – um die Worte von Papst Leo XIV. zu gebrauchen – „weniger wegen der Großartigkeit ihrer Strukturen und der Pracht ihrer Bauten […], sondern durch die Heiligkeit ihrer Glieder“: dank der Liebe, die wir füreinander haben werden.
Aldo Vendemiati ist Priester und Professor an der Philosophischen Fakultät der Päpstlichen Universität Urbaniana. Sein Blog findet sich HIER. Die Predigt wurde mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht.
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